Wien

Aus Biostudies
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Moin, oder wie wir Wiener sagen, "Grüßzi Gott".

Wie Ihr vielleicht wißt, bin ich am Sonntag mit dem Zug aus meinem Heimatdorf Kemmern abgehauen, um die große weite Welt oder zumindest Wien im Zuge meiner Bachelorarbeit (Thema etwa: Einfluß klimatologischer Faktoren auf craniometrische Schädelmerkmale und ihr phylogenetischer Bezug) kennen zu lernen. Leider war während der Fahrt kein so gutes Wetter. Und auch die Fernsicht hat leicht darunter gelitten, so daß ich die vielleicht 20 oder 30 km weit entfernten Alpenausläufer von Linz aus nur schleierhaft erkennen konnte. Dort lag noch Schnee auf den Gipfeln.

Nachdem kurz vorher n schrulliges altes Weib ins Ruheabteil der Bahn - ja, sowas gibts in Österreich - kam, und erstmal spielende Kinder mit ihrer Mutter hinaus gejagt hat, hab ich mich in die Musik vertieft und aus dem Fenster gestarrt.

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Mein kleines Reich mit wunderschönem Blick auf die große laute Straße in der öden City :D

Wien hat mich schließlich mit strahlendem Sonnenschein begrüßt, obwohl ich bis heute noch nicht wirklich viel davon gesehen habe. Nachdem ich am Bahnhof erstmal meinem Magen nachgab und ein halbverdautes Fischbrötchen von der Nordsee geholt hab, hab ich gleich nochmal 2,40 € zum Fenster rausgeschmissen. Wußte ja, wo ich mit der U3 langfahren mußte, hab mir also am ersten Automaten ne Karte dafür gekauft. Aber wer, der aus dem großen Landeshauptdorf Kiel kommt, denkt schon, daß an nem Sonntag der Ticketstand 5 Schritte weiter hinter der Ecke offen hat (so daß man ihn natürlich nicht sieht) und man sich dort n Monatsticket kaufen kann?!

Aber is auch egal, könnte den Wienern Absicht unterstellen, laß es aber lieber. Bin dann jedenfalls gleich nach Simmering gefahren, um mein neues Heim für die nächsten 6 Wochen zu beziehen - Haus auch gleich gefunden. Dort, im Kloster der Kongregation der Schwestern zur Schmerzhaften Mutter, hat mir eine Schwester die Tür aufgemacht. Sie bat ich ins 1. Stockwerk, wo auch die Hausschwester Elisabeth war, bei der ich mich angemeldet habe. Auch die war ganz freundlich und hat mir gleich mein Zimmer gezeigt, daß von den meistbefahrendsten Straßen in ganz Wien eingesäumt ist, was - seitdem seit gestern mein Fenster sich nicht mehr schließen läßt - für den Schlaf nicht sonderlich förderlich ist.

Egal. Was will man für 300 €/6 Wochen mehr erwarten. Abends gings noch zum Chinesen gegenüber, um mich für den kommenden Tag zu stärken. Als ich schon fast fertig war, kamen die Schwestern, die das Haus bewohnen, herüber, um den 100. Todestag der Gründerin des Ordens, einer Franziska Streitel zu feiern.


Das Naturhistorische Museum Wien

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Brunnen im Maria-Theresien-Park
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Vorderansicht des Naturhistorischen Museums Wien

Am nächsten Morgen bin ich aufgrund des Lärms recht früh (um 6:30 Uhr oder so) schon aufgewacht. Einen Termin hatte ich aber erst um 10:00 Uhr. Aber was solls, dacht ich mir, schauste Dir etwas die Gegend um Deine Wirkstätte an. Also bin ich gegen 7:30 Uhr mit der U3 etwa 10 Minuten Richtung "Westbahnhof", dem Hauptbahnhof Wiens, gefahren und an der Haltestelle "Volkstheater" ausgestiegen, etwas durch die Gegend geschlendert und hab mich schließlich im Windschatten im Maria-Theresien-Platz in die Sonne gesetzt. Dieser im Stil des 18. Jahrhunderts angelegte Garten trennt den Prachtbau des Naturhistorischen Museums und seinem Pondon, dem Kunsthistorischen Museum. Zumindest das Naturhistorische Museum wurde um 1870 (wenn ichs noch recht im Kopf hab) von Semper, dem Architekten und Erbauer der Semper-Oper in Dresden, erbaut. Ich nehm an, daß das Kunsthistorische Museum auch von ihm ist, weiß es aber nicht ...

Gegen 9 Uhr hab ich mich schließlich beim Museumswärter erkundigt, wo ich hin muß, um in die Anthropologie zu gelangen. Dort erfuhr ich, daß der Hinterhof, in dem der Eingang liegt, von einem Wächter im kontrolliert wird, um die Ecke liegt. Er fragte mich, was ich hier wolle. Nachdem ich ihm die Sache erklärt hab, mußte ich nen Zettel mit Name, Anschrift und Geburtsdatum ausfüllen, den ich am Abend unterschrieben zurückzugeben hatte. Auf diese Weise wird wohl auf Anwesenheit von Personen im Museum kontrolliert.


Die Anthropologische Abteilung

Um 9:45 Uhr hab ich mich schließlich in den 2. Stock "ganz hinten rechts" im Hinterhof getraut. Dachte mir ... 2. Stock, kann nix schaden, wenn Du zu Fuß gehst. Denkste ... Jedes Stockwerk hat eine Deckenhöhe von geschätzten 8 - 10 m Höhe + Zwischendecke. Macht Summa summarum 164 Stufen und damit mehr als aufs Oberland in Helgoland. Egal. Weil ich pünktlich losgelaufen bin hatte ich kurze Zeit mich auszukeuchen und mich zu orientieren, wo ich überhaupt hin muß - da gibt es 3 Türen auf diesem Stockwerk.

Schließlich hab ich die Richtige gefunden und bin rein gegangen. Nichts außer ein Kopierer, ein Waschbecken, Kühlschrank, Kühlschrank mit Kettenschloß verschlossen und einigen Regalen. Hinter der nächsten Tür verbarg sich ein Mann, der neben der Tür saß. Also sprach ich ihn an und sagte, bei wem ich mich melden sollte. Er ging mit mir in den überübernächsten Raum und meinte, ich soll mich derweil auf den Schreibtischstuhl setzen, da die Sekretärin, mit der ich einen Termin ausgemacht hatte, gleich kommen würde. Und so saß ich da. Etliche Minuten später kam Jemand, der meinte, er käme gerade von der Kaffeerunde und die Sekretärin wäre mit oben in der Besprechung. Er meinte ich soll mitkommen und so kam ich mit.

Die Sekretärin und die anderen anwesenden Mitarbeiter der Sektion begrüßten mich jedenfalls erstmal recht freundlich und neugierig, bis ich erfahren habe, daß die Chefin, mit der ich um 10 Uhr verabredet war, erst gegen 14 Uhr kommen konnte. Also war ich von 10:45 Uhr bis 14:30 Uhr am Abgammeln. Die Chefin, Fr. Prof. Dr. Maria Teschler-Nicola war recht hektisch, da sie eben von nem wichtigen Termin kam und gleich wieder zu einem Solchen gehen mußte, aber auch sehr nett. Unser Gespräch dauerte so auch nur etwa 7 Minuten. Dann, nachdem ich Ihr erklärt hab, was ich vorhabe, hat sie kurz überlegt und mir die Schädelsammlung gezeigt: ein riesig-langer Gang, einseitig über die gesamten 8 - 10 m Höhe übervoll mit Schädeln und ein weiterer quadratischer Raum, ebenso mit solchen Regalen an allen Wänden. (Bilder davon gibts die Tage ...). Dann hat sie die Uralt-Sammlungsbücher von anno 1900 herausgekramt, in der die von den Schenkungen erhaltenen Schädel verzeichnet waren. Zudem konnte ich ab gestern Nachmittag und heute (Dienstag) eine Karteikartensammlung und eine Access-Datenbank verwenden, was ich gestern und heute auch brav getan habe. Aufgrund der Fülle von ca. 25.000 Exponaten, von denen etwa 15.000 prähistorische und historische Schädel sind, wird die Recherche auch mindestens noch morgen andauern.

--webmaster 20:53, 8. Mär. 2011 (CET)


Das Projekt

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Ein Blick über nicht ganz die Hälfte der Schädel, die sich in der Anthropologischen Sammlung befinden

Heute möchte ich erklären, was ich eigentlich in Wien am Naturhistorischen Museum mache und wozu das Ganze.

Hintergrund des Ganzen ist, daß sich in einschlägiger Literatur eine heftige Diskussion dazu findet, ob und wenn ja wie klimatische Standortfaktoren Einfluß auf die Ausbildung von Schädelformen nehmen. Um möglicherweise einen kleinen Beitrag zur Aufklärung des Rätsels anbieten zu können, werde ich so an verschiedenen Schädeln bestimmte Maße nehmen und dann schauen, ob bei Menschen, die in einem definierten Klimaten lebten, bestimmte Merkmale anders ausprägen als in anderen Klimaten.

Wenn man einen solchen Zusammenhang aufdecken kann, ist gleichzeitig davon auszugehen, daß die Ausprägung des Schädelmerkmals auch einen physiologischen Zweck erfüllt und daher im Zuge der Evolution herausgebildet wurde. Wenn sich daher eine "Menschenrasse" (man spricht hier besser von Morphospezies, da der Begriff "Rasse" aufgrund geschichtlicher Ereignisse negativ belegt ist und auch im wissenschaftlichen Sinne nicht ganz korrekt ist) über einen Klimaten hinweg ausbreitet (oder abwandert), wäre nach den vorhergehenden Überlegungen die Wahrscheinlichkeit größer, daß die Abwanderung in ähnliche Klimaten bzw. über viele Tausend Generationen hinweg entlang eines (Temperatur- und Niederschlags-)Gradienten erfolgt. Der zweite Teil meiner Bachelorarbeit wird es daher sein, auf der Grundlage eines Stammbaums, den ich aus den erhobenen Daten rekonstruieren werde, historische und prähistorische "Wanderungswege" abzuleiten und auf diese Weise meine Hypothese zu überprüfen.

Wer es etwas Wissenschaftlicher haben möchte oder sich über die Maße erkundigen will, die ich hier in Wien an den Schädeln messe, kann das mit Hilfe des Exposés machen.


Kopflos

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Hier nochmal in Detail- und Vorderansicht - so siehts aus: Die Schädel sind von links nach rechts und oben nach unten durchnummeriert, wobei jeweils 3 Schädel im Regal hintereinander stehen

Irgendwann am Dienstag-Nachmittag mußte ich leider feststellen, daß mein ursprüngliches Konzept, 10 Schädel von Frauen + 10 Schädel von Männern des selben Wohnorts zu sammeln, leider nicht ganz aufgeht. Grund dafür ist die Sammlung. Insgesamt gibt es nur 3 oder 4 Ortschaften, von denen Schädel von mehr als 10 Männern vorhanden sind, jedoch siehts mit denen von Frauen noch schlechter aus.

Generell finden sich in dieser Sammlung trotz des riesigen Bestands nur wenige weiblichen Cranien und Calvarien (so heißen Schädelstücke, denen mindestens der Unterkiefer - manchmal sogar das ganze Gesicht - fehlt). Woran das liegen mag, konnte mir bislang Niemand mit Gewißheit sagen. Hypothesen diesbzgl. sind aber Folgende:

  • Der weibliche Schädel ist nicht so robust wie der männliche (z. B. geringere Schädeldecke) und wird so schneller (z. B. durch Frostsprengungen, etc.) zerstört.
  • Manche der Schädel stammen aus der Zeit größerer Kriege. Und da die Regimenter noch vor 50 Jahren ausschließlich aus Männern bestanden, sollten sich so nur Schädel von Männern finden lassen.
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Ein mit Motiven bunt bemalter Schädel aus Hallstatt am Salkammergut (Oberösterreich

Diesem Umstand ist es geschuldet, daß ich meine Versuchsdurchführung überdenken mußte. Ich habe mir daher jetzt erstmal Schädel (umschließt im Folgenden Cranien und Calvarien) ausgesucht, deren geographische Herkunft (= Geburts- & Fundort) genau zuordenbar ist. Auf diese Weise kann ich die einzelnen Merkmale später mit klimatologischen Kennwerten (Höchst-, Tiefsttemperaturen, Niederschlagsmenge) im Zuge einer Regression vergleichen. Die Variabilität kann so später halt nicht über Fehlerbalken (Standardabweichung) ausgedrückt werden, sondern im Konfidenzintervall der Regressionsfunktion.

Am Donnerstag war ich gegen 12 Uhr endlich so weit, daß ich mit dem Vermessen beginnen konnte. Und gleich am ersten Tag hatte ich 2 außerordentliche Exemplare. Das Erste war der Schädel eines Rebellenführers aus Borneo, der vermutlich hingerichtet wurde. Das zweite Exemplar ist ein mit Blumen und oftmals auch mit anderen bunten Motiven bemalter Schädel einer Frau als Hallstatt (am Dachstein, Oberösterreich). Wer schon einmal dort war, erkennt diesen Schädel sofort wieder und weiß, wo er geographisch zuzuordnen ist.


Zentralfriedhof

Jetzt aber mal wieder genug von wissenschaftlichem Geschwafel.